Kann es überhaupt eine wahre Religion geben?
|Ist es nicht höchst anmaßend, wenn jemand behauptet, dass seine Religion besser sei als die anderen? Sind nicht alle Religionen gleich wahr oder gleich falsch? Und lässt sich in dieser Hinsicht überhaupt irgendetwas mit Gewissheit sagen?
Das sind sehr ernst zu nehmende Fragen, auf die es keine kurzen, alles erklärenden Antworten gibt. Trotzdem wollen wir den Versuch wagen, Schritt für Schritt mögliche Antworten zu erarbeiten. Wir betrachten dabei vier der gängigsten Aussagen in Bezug auf die Religionen.
1. Alle Religionen sind gleich falsch.
Kein Mensch auf der Welt weiß genau, wie viele Religionen es gibt. Es existieren weltweit einige tausend Glaubensgemeinschaften, wobei es längst nicht klar ist, was davon als Religion oder z.B. als Sekte zu betrachten ist.
Wenn Menschen von Religionen reden, dann meinen Sie damit meistens die acht am weitesten verbreiteten Religionen der Welt: Buddhismus, Islam, Judentum, Hinduismus, Christentum, Bahaitum, Daoismus, Konfuzionismus, wobei die fünf Erstgenannten als die fünf großen Weltreligionen gelten.
Beweist nicht schon die große Anzahl der Religionen, dass sie alle falsch sind? Keineswegs! Um mit Sicherheit sagen zu können, dass alle Religionen falsch sind, müsste man selbst über unbegrenztes Wissen verfügen, welches entweder die Nichtexistenz Gottes mit einschließt oder das Wissen, dass alle bisher eingeschlagenen Wege zu Gott (Religionen) falsch sind. Und da kein Mensch über ein solches Wissen verfügt, kann diese Aussage zwar als Behauptung gemacht werden, aber sie kann keine allgemeine Gültigkeit beanspruchen.
Es erhebt sich übrigens die Frage, warum es überhaupt Religionen gibt. Woher kommt in uns Menschen das Streben nach dem Transzendenten? Wenn wir – wie es der Naturalismus – behauptet nur aus Physik und Chemie bestehen, ist es doch verwunderlich, dass Gott überhaupt in unsere Gedanken Einzug gehalten hat.
Die Bibel gibt darauf eine interessante Antwort. Sie sagt, dass Gott als Schöpfer in uns Menschen eine Art Ur-Wissen über sich selbst angelegt hat. Im Buch Prediger heißt es so:
„Alles hat er schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt, …“
Laut Bibel hat der Schöpfer eine Ahnung von der Ewigkeit ins Innerste des Menschen hinein gewoben, und das bringt ihn dazu, nach Gott zu fragen.
Die Inhalte zu den folgenden drei Punkten sind in großen Teilen dem Buch „Warum Gott? Vernünftiger Glaube oder Irrlicht der Menschheit?“ von Timothy Keller, Brunnen Verlag Gießen 2010, entnommen.
2. Alle großen Religionen sind gleich wahr und lehren im Grunde dasselbe.
Bei einer Podiumsdiskussion an einer Universität, zu der ein christlicher Pastor, ein jüdischer Rabbi und ein muslimischer Imam geladen waren, sollten diese über die Unterschiede zwischen ihren Religionen diskutieren. In dem intelligent und respektvoll geführten Gespräch betonten alle drei, dass es erhebliche und nicht zu überbrückende Differenzen zwischen den drei Religionen gab. Es konnte zum Beispiel nicht sein, dass alle drei recht hatten mit ihren Aussagen über Jesus Christus.
Etliche Zuhörer waren darüber sehr aufgebracht. Einer widersprach den drei Geistlichen vehement und sagte, dass die Lehrunterschiede zwischen Judentum, Islam, Christentum, Buddhismus und Hinduismus doch letztlich nebensächlich seien und dass alle mehr oder weniger an den gleichen Gott glaubten.
Was ist auf diesen Einwand zu erwidern? Nun, einer der drei Religionsvertreter bat den Studenten darum, den Gott – an den angeblich alle Religionen glauben – zu beschreiben. Und der Student beschrieb ihn als „all-liebenden Geist im Universum“. Was hat der Student mit dieser Aussage getan? Er hat eine lehrmäßige Aussage über das Wesen Gottes gemacht, die obendrein den Lehren aller großen Religionen widerspricht. Der Buddhismus glaubt nicht, dass er überhaupt einen persönlichen Gott gibt; Juden, Christen und Muslime glauben an einen Gott, der von den Menschen Rechenschaft fordert und der sich nicht auf die Liebe reduzieren lässt.
Wir sehen also, dass die Behauptung ‚Lehren seien nicht so wichtig‘ selbst auch eine Lehre ist, die ein bestimmtes Gottesbild voraussetzt.
3. Jede Religion erkennt einen Teil der spirituellen Wahrheit, aber die ganze Wahrheit kann keine sehen.
Hören wir dazu das Beispiel mit den Blinden und dem Elefanten aus o.g. Buch, S. 34:
Mehrere Blinde gehen spazieren und stoßen dabei auf einen Elefanten, der sich von ihnen betasten lässt. „Dieses Tier ist so lang und geschmeidig wie eine Schlange“, erklärt der Erste, der den Rüssel des Elefanten erwischt hat. „Nein, nein, es ist dick und rund wie ein großer Baumstamm“, sagt der Zweite, der ein Bein des Elefanten befühlt. „Nein, es ist groß und flach“, erwidert der dritte Blinde, der die Seite des Elefanten entlangfährt. Jeder der Blinden fühlt nur einen Teil des Elefanten; das ganze Tier vorstellen kann sich keiner. Und ganz ähnlich, heißt es dann, erfasst jede der Weltreligionen nur einen Teil der spirituellen Realität, aber keine darf behaupten die ganze Wahrheit zu erkennen.“
Wie verhält es sich mit dieser Aussage? Sie klingt zunächst recht einleuchtend, aber sie hat einen Haken. Sie wird erzählt aus der Perspektive desjenigen, der nicht blind ist und der für sich in Anspruch nimmt, die ganze Wahrheit (in dem Fall den Elefanten) zu sehen.
Bezogen auf die Religionen: Woher will man wissen, dass keine Religion die ganze Wahrheit sieht, wenn man nicht selbst über die ganze Wahrheit verfügt? – Von der man ja gerade behauptet hat, dass niemand sie hat.
4. Der religiöse Glaube ist zu sehr ein Produkt der Geschichte und Kultur, um ‚wahr‘ sein zu können.
Es ist eine Tatsache, dass der religiöse Glaube einer gewissen gesellschaftlichen Bedingtheit unterliegt. Wer z.B. in Pakistan oder Marokko geboren ist, wird eher ein Muslim werden als jemand, der in Schweden oder in Deutschland geboren ist.
Also – sagen die Vertreter o.g. These –, da wir alle Gefangene unserer historischen und kulturellen Umgebung sind, kann kein Glaube als für alle Menschen wahr betrachtet werden.
Aber auch diese Argumentationsweise beißt sich selbst in den Schwanz. Man kann nicht sagen: „Alle Aussagen über Religionen sind historisch bedingt und relativ, außer der, die ich gerade mache.“ Nach den Denk-Regeln des Relativismus, relativiert sich nämlich diese Aussage auch selbst wieder und kann nicht als allgemein wahr angesehen werden.
Was nun?
Hören wir zum Schluss den Religionssoziologen Peter L. Berger (zitiert o.g. Buch, S. 36):
„Berger kommt zu dem Schluss, dass wir uns vor dem Abwägen religiöser Positionen nicht in das Klischee flüchten können, dass man die Wahrheit eben nicht erkennen könne. Die [eigene] Denkarbeit bleibt uns nicht erspart, zu fragen, welche Behauptungen über Gott, über das Wesen des Menschen und über die spirituelle Realität wahr und welche falsch sind. Auf irgendeine Antwort auf diese Frage müssen wir unser Leben gründen.“